Wuppertal, den 19.12.1998


Erklärung der kurdischen Flüchtlinge in der Gemarker Kirche zu den Hintergründen ihrer Flucht


Aufgrund des (nicht erklärten) Krieges in Türkei-Kurdistan finden nun seit ca. 15 Jahren Ermordungen, Vertreibungen und Folterungen an der kurdischen Bevölkerung statt. Die Repressalien zeichnen sich in vielfältiger Weise ab und nehmen an Härte und Brutalität zu. Es gibt mittlerweile kaum eine kurdische Familie, die nicht einen oder mehrere Tote zu beklagen hat. Ein Großteil der kurdischen Bevölkerung wurde aus ihren Dörfern vertrieben, die Dörfer anschließend zerstört und größere Waldbestände in bestimmten Regionen in Brand gesetzt. Die Bekämpfung des kurdischen Volkes findet also nicht nur auf kultureller Ebene statt, indem ihre kurdische Identität verleugnet und unterdrückt wird, sondern in erster Linie über die Einschüchterungsprozesse, die sich in Folterungen, Vertreibungen und „Verschwinden" in der Polizeihaft ausdrücken. Zudem werden durch die Zerstörung ihre sozialen und materiellen Existenzgrundlagen vernichtet. Über die Verminungen und Inbrandsetzungen der Waldbestände ist es zugleich ein Angriff gegen die Natur!
Ihren sozialen, kulturellen und materiellen Grundlagen entrissen, sind in den Großstädten der Türkei aufgrund von Verfolgungen und Vertreibungen Slums von kurdischen Flüchtlingen entstanden. Dort vegetieren und kämpfen kurdische Familien um das nackte Überleben. Kurdische Kinder suchen in den Müllhalden der Großstädte nach Essbarem. Daß die vielbeschworene Sicherheit in den Großstädten jeder realen Grundlage entbehrt, zeigt sich nicht nur am Hunger und Elend der Flüchtlinge, sondern auch in den willkürlichen Festnahmen, Folterungen und Morden in den Slums durch die türkischen „Sicherheitskräfte". Die Verstrickung der türkischen Sicherheitskräfte mit den „Grauen Wölfen" - den türkischen Faschisten - ist offenkundig und wird mittlerweile auch von ihnen nicht mehr verheimlicht. Von einer „sachlichen" Grundlage der Festnahmen und Folterungen kann deshalb nicht ausgegangen werden. In der Hoffnung, uns und unseren Kindern ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen, sind wir aus der Türkei geflohen und haben in Deutschland Asyl beantragt. Doch für die Richter und die deutsche Rechtsprechung scheint die offensichtliche Verfolgung und Unterdrückung der KurdInnen in der Türkei keine hinreichende Bedeutung zu haben. Ansonsten ist die Ablehnung unserer Asylanträge von unserer Seite nicht nachvollziehbar. Deshalb haben wir nach Ablehnung der Asylanträge mit 27 Personen in der Gemarker Kirche Wuppertal-Barmen um Kirchenasyl gebeten. Dies ist ein letzter verzweifelter Versuch, nicht in ein Land abgeschoben zu werden, in dem Folter und Verfolgung gegen die kurdische Bevölkerung vorherrscht. Zugleich ist es ein weiteres Ziel unseres Kirchenasyls, die deutsche Öffentlichkeit aufmerksam zu machen, sich für die politische Lösung des Kurdenproblems einzusetzen und - solange dieser Konflikt nicht friedlich gelöst ist - keine KurdInnen in die Türkei abzuschieben.
Aus diesem Grunde haben wir uns für einen „Gruppenasylantrag" ausgesprochen. Denn die Unterdrückung und Verfolgung der KurdInnen in der Türkei ist kein individuelles Einzelschicksal sondern betrifft die kurdische Bevölkerung als ethnische Gruppe. Einzelfallprüfungen, wie sie an uns vom Kirchenkreis Barmen herangetragen wurden, führen zu einer Entpolitisierung, Entsolidarisierung und Individualisierung eines gesellschaftlichen Problems. Auch wenn wir diese Absicht dem Kirchenkreis Barmen in keinster Weise unterstellen, wird dies aller Wahrscheinlichkeit nach die unabwendbare Folge der Einzelfallprüfung sein.

Ein weiterer Grund liegt natürlich in der naheliegenden Vermutung, daß unsere Asylanträge bei einer Einzelprüfung keine bzw. wenig Aussicht auf Erfolg haben. Hätten sie eine Chance auf Anerkennung, so wären bereits gestellte Asylanträge nicht abgelehnt worden. Davon kann man solange nicht ausgehen, solange die systematische Verfolgung der Kurden als ethnische Gruppe in der Türkei nicht als Grundlage für die politischen und rechtlichen Entscheidungen geltend gemacht werden. Wir fordern deshalb:

Wir bitten alle, die Flüchtlinge in der Kirche konkret zu unterstützen!



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Stand: 19.12.1998